Die Kraft in mir
Probe aus dem Kapitel “Das Ende?” .. „Dort können wir springen!" ruft einer von uns und weist mit dem Finger auf diese Landzunge. (Wer diesen wahnwitzigen Vorschlag machte, weiß ich heute nicht mehr; vielleicht war ich es auch selbst.) Wir waten und schwimmen bis zu dieser Stelle und prüfen, ob die Wassertiefe für Kopfsprünge ausreichen würde. Vom Ufer aus fällt der Grubengrund ziemlich steil ab, und an der Stelle, wo wir vermeintlich mit dem Kopf voran eintauchen werden, reicht mir das Wasser bis etwas unterhalb der Brustwarzen. Auch die Landzunge erscheint uns nicht sehr hoch. „Für'n flachen Köpper müßt's ausreichen!" Erst springt Thorsten, dann Jörg, danach ich. Alles geht glatt: Ich tauche flach ein, und ohne den Grund der Grube zu berühren, gleite ich durch das Wasser. Wieder. Erst Thorsten - dann Jörg - danach ich ... Ich merke gleich, daß etwas an meinem Absprung nicht stimmt und ich zu steil eintauchen werde. Die Flugphase ist jedoch zu kurz, um noch etwas korrigieren zu können. Ich spüre, wie mein Kopf die Wasseroberfläche durchtrennt und ich, nur schwach durch das Wasser gebremst, mit der Stirn auf den Kies der Grube pralle. Mein Kopf scheint durch die Wucht des Aufpralls eine kleine Kuhle in den weichen Grund zu bohren. Ansonsten spüre ich nichts. ... unendlich viel Zeit muß vergangen sein. Aus weiter Ferne höre ich Stimmen. Mein Körper steigt, mit dem Rücken nach oben, wie eine Wasserleiche an die Oberfläche. Schon oft habe ich mich so treiben lassen, wenn ich in der Schwimmhalle vom Drei-Meter-Brett sprang oder im Freibad tauchte. Bis dahin empfinde ich alles normal. Doch allmählich wird mir die Luft knapp. Ich will mich aufrichten. Geht nicht. Versuchs noch mal! Wieder nicht. Ich nehme all meinen Willen und meine Kraft zusammen, nichts geschieht. Nur mein Kopf reagiert auf meine Befehle...  Probe aus Kapitel "Ein neues Leben" ... Einmal traf ich auf dem Flur unserer Station den Neurologen, der mich am Anfang untersucht hatte. Als er mich sah, fragte er mich, ob ich immer noch Selbstmord begehen würde. Ich wußte gar nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich hatte nie gesagt, daß ich in irgendeiner Weise an Selbstmord dächte. Nie hatte ich diese Möglichkeit in Betracht gezogen - ganz abgesehen davon, daß ich mit meiner Lähmung dazu kaum in der Lage gewesen wäre. Im Gegenteil. Ich hänge trotz alledem viel zu sehr am Leben. Selbstmord ist mir zu endgültig. Jetzt fühle ich mich vielleicht down und würde am liebsten mit allem Schluß machen, aber weiß ich, was in einer Woche oder in einem oder in zehn Jahren sein wird? Entweder verwechselte er mich, oder er setzte voraus, daß alle, die sich in meiner Situation befinden, an Selbstmord denken müssen..
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Hörbuch gelesen von Jens Wendland Hörprobe (Mp3 - Dateigröße ca. 14MB) Hier reinhören
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